Schmerzbehandlung bei Krebs

Schmerzen – einerseits Warnsignal, andererseits Ursachen für chronisches Leid

Schmerzen haben wichtige Schutz- und Warnfunktion für uns Menschen. Durch sie werden z.B. Schutzreflexe ausgelöst, wenn wir uns verletzen und verbrennen oder sie können Frühwarnzeichen für eine heilbare Krankheit sein. Unter bestimmten Umständen, besonders auch bei chronischen Schmerzen durch Krebserkrankungen, haben sie ihre warnende Funktion verloren. Sie verringern nur noch die Lebensqualität und machen das Leben fast unerträglich.

Zur Bekämpfung dieser sinnlosen Schmerzen benötigt man Therapiekonzepte und Schmerzbewältigungsstrategien, „Standardrezepturen“ helfen nicht. Alle Therapiekonzepte müssen an die individuelle Situation der Betroffenen angepasst werden. Die Betreuung von Patienten mit chronischen Schmerzen bei Krebs setzt deshalb qualifiziertes Fachwissen und fächerübergreifendes Denken der Ärzte voraus.

Woher kommt der Schmerz?

Die Schmerzhäufigkeit bei Krebserkrankungen ist je nach Art, Ursprung und Stadium unterschiedlich. Etwa 30% der Patienten leiden schon bei Diagnosestellung unter Schmerzen unterschiedlichen Ursprungs, mit fortgeschrittener Krankheit sind es 65 – 80 %. Die Belastung der Patienten durch Schmerzen wird gegebenenfalls durch Allgemein-symptome wie Abgeschlagenheit, Schwäche, Luftnot, Übelkeit und Stuhlverstopfung noch verstärkt.

Tumorbedingte Schmerzen:
Wenn Tumore oder Metastasen innere Organe besiedeln können durch Dehnungsprozesse Spannungsschmerzen entstehen. Werden Nerven „eingemauert“ und „angegriffen“, so kann dies zu Nervenschmerzen führen. Auch Knochenmetastasen können chronische Schmerzen verursachen, die u.a. mit Bewegungseinschränkungen einhergehen. Sogar die Tumorbehandlung selbst (Operation, Bestrahlung, Chemotherapie) oder deren Folgen können Ursachen von Schmerzen sein.

Beispiele hierfür sind:  Spannungschmerzen im Arm durch ein Lymphödem nach Brustoperation, Narbenschmerzen, Schleimhautschmerzen bei Chemotherapie und Neuralgie.

Nicht-tumorbedingte Schmerzen:
Migräne, chronische Rückenschmerzen, Weichteil-schmerzen, Schmerzen durch Arthrose u.a. können zusätzlich das Wohlbefinden stark beeinträchtigen.

Wegen der zahlreichen Schmerzursachen ist es unverzichtbar, vor Beginn einer Schmerztherapie eine sorgfältige Schmerzdiagnostik durchzuführen. Die Basis hierfür bildet immer eine genaue Befragung der betroffenen Personen, wo und wie die Schmerzen auftreten. Danach müssen eine sorgfältige und umfassende körperliche Untersuchung gegebenenfalls ergänzende apparative  Diagnostik wie Röntgen, Sklelettszintigramm, Computertomographie und Kernspintomographie folgen.

Schmerztherapie immer mehrgleisig

Die Schmerztherapie zielt auf die Beeinflussung von Schmerzursachen, Schmerzleitung und Schmerzwahrnehmung im Gehirn. Die Wahl der Therapiemethode bzw. des Angriffspunktes richtet sich nach Ursache, Charakter und Stärke der Schmerzen. In der Regel werden verschiedene Methoden miteinander kombiniert. Es gibt viele Arten der nicht-medikamentösen und medikamentösen Beeinflussung. Bei Schmerzen durch den Tumor selbst und bei Knochenmetastasen hilft z.B. oft Chemo- oder Strahlentherapie, da der Tumor hierdurch  verkleinert wird. Zur Schmerzbewältigung können psychologische Strategien und Entspannungsübungen eingesetzt werden. Gegen Schmerzen am Bewegungsapparat eignen sich Krankengymnastik und physikalische Therapie.

Die Schmerzintensität kann mittels einer Schmerzskala von 0 – 10 abgeschätzt werden. Der Bereich bis 1 – 4 entspricht milden, 5 – 6 mäßigen und 7 – 10 starken Schmerzen. Bei mäßigen Schmerzen wird man um eine medikamentöse Therapie nicht herum kommen.

Leitlinien einer medikamentösen Schmerztherapie

Die WHO (Weltgesundheitsorganisation) hat Leitlinien zur medikamentösen Schmerztherapie von Krebspatienten veröffentlicht. Darin wird ein schrittweises Vorgehen in drei Stufen vorgeschlagen.  Diese Leitlinien werden jedoch hierzulande oft nicht oder nur unvollständig befolgt. Es verwundert daher nicht, dass nach neueren Untersuchungen eine hohe Anzahl von Krebspatienten unzureichend analgetisch d.h. schmerzstillend, behandelt ist, wodurch die Lebensqualität stark gemindert ist.

Patienten mit milden bis mäßigen Schmerzen werden nach dem WHO-Schema mit Nichtopiat-Schmerzmitteln behandelt (Stufe 1). Bei unzureichender Analgesie muss die Dosis der Schmerzmittel gesteigert und zusätzlich ein  Opioid oder Opiat gegeben werden (Stufe 2). Bestehen trotz dieser Therapie mäßig bis starke Schmerzen, so werden in Stufe 3 stärker Opiate eingesetzt. Im Einzelfall muss das Vorgehen aber immer auf die Person bezogen erfolgen.

Folgende Therapiegrundsätze sollten unbedingt beachtet werden:

  1. Orale Medikamenteneinnahme, d.h. in Tabletten oder Tropfenform - soweit möglich.
  2. Festes Zeitschema, keine bedarfsweise Einnahme, sondern Einnahme nach der Uhr, zu festen Tageszeiten.
  3. Individuelle Dosierung, keine „Standarddosis“.
  4. Begleitmedikation zur Bekämpfung von Nebenwirkungen und zur Verstärkung der Schmerzmittelwirkung.
  5. Wirkungskontrolle der Schmerztherapie und Kontrolle der Nebenwirkung: d.h. regelmäßige Vorstellung beim betreuenden Arzt und Selbstüberwachung.

Welche Schmerzmittel gibt es?

Peripher wirkende Schmerzmittel, d.h. außerhalb des Gehirns wirkende Substanzen gehören in die Stufe 1 der Schmerztherapie und können in Kombination mit Opiaten eingesetzt werden. Als Präparate haben sich bewährt:  Diclofenac, Metamizol, Paracetamol.

In der Hand des erfahrenen Arztes sind diese Substanzen sicher anwendbar. Diclofenac und verwandte Substanzen verursachen häufig Nebenwirkungen am Magen-Darmtrakt. Bei Einnahme über einen längeren Zeitraum sollte Magenschleimhautschäden durch Gabe von Misoprostol vorgebeugt werden.

Opioide sind abgeschwächte Opiate. Die Opioidabkömmlinge Tramadol und Tilidin/Naloxon gehören in die Stufe 2 der „Therapieleiter“. Sie sind wesentlich schwächer wirksam als Opiate bzw. Morphine und haben ähnliche Nebenwirkungen.

Morphine oder Opiate sind ursprünglich von Opium abgeleitete Substanzen die durch Hemmung von Schmerzleitung und Schmerzwahrnehmung im Gehirn für viele Arten von Schmerzen eine exzellente Therapie ermöglichen. Sie sind die Mittel der Stufen 2 und 3. Wegen eines möglichen Missbrauchs der Opiate als „Rauschmittel“ ist der Einsatz in der Betäubungsmittelverordnung geregelt. Diese Tatsache erklärt  vermutlich die teils unverständliche Zurückhaltung der Ärzte in der Verordnung. Es bestehen oftmals folgende Vorurteile: 

  1. Opiate machen süchtig. Stimmt bei Krebspatienten nur selten
  2. An Opiate gewöhnt man sich und braucht immer mehr davon:  keineswegs, die einmal gefundene Dosis kann oft jahrelang beibehalten werden.
  3. Morphine verkürzen Leben:  Im Gegenteil, bei Schmerzfreiheit werden Appetit, Beweglichkeit und Lebensqualität verbessert sowie Bettlägerigkeit vermieden

Jeder Arzt hat trotz der strengen Vorschriften die Möglichkeit, seine Patienten mit einer ausreichenden Menge an Opiaten zu versorgen.

Morphine haben auch Nebenwirkungen. Fast regelmäßig kommt es zu Stuhlverstopfung. Hier kann mit Abführmitteln vorgebeugt werden. Zu Beginn der Behandlung klagen viele Patienten vermehrt über Müdigkeit, dies legt sich in der Regel mit der Zeit. Bestimmte Präparate können Anfangs Übelkeit auslösen, auch dies ist mit Gegenmitteln gut behandelbar oder verliert sich von selbst.

Wichtige Regeln und Hinweise

  • Eine der wichtigen Regeln ist die Einnahme von Medikamenten nach der Uhr nach einem festen, schriftlich fixierten Zeitplan. Grundsätzlich empfiehlt es sich länger wirkende wirkende Präparate, sogenannte Retardpräparate einzunehmen. Diese Mittel wirken verzögert und sind deshalb bei akuten Schmerzen nicht geeignet.
  • Zusätzlich sollte für den Fall der akuten Verschlechterung ein schnell wirkendes Reserve-Medikament zur Verfügung stehen.
  • Bei unzureichender Schmerzlinderung sollten Sie ein Schmerztagebuch führen.
  • Verändern Sie Dosierung und Einnahmehäufigkeit der Mittel nur in Rücksprache mit Ihrem Arzt.
  • Bei Nebenwirkungen den Arzt verständigen.
  • Retardtabletten dürfen nicht zerkleinert oder zerkaut werden, da sonst die Lang-Zeitwirkung verloren geht.
  • Die genannten Nebenwirkungen verlieren sich oft von selbst oder sind mit Gegenmitteln beherrschbar.
  • Die Gefahr einer seelischen Abhängigkeit besteht nicht. Bei Wechsel des Präparates kann es aber zu körperlichen Entzugssymptomen kommen, in diesem Fall müssen Sie den Arzt aufsuchen.